Vor einiger Zeit bin ich auf das Kommunikationskonzept „Thinking Environments“ von Nancy Kline gestoßen und wollte direkt mehr darüber erfahren. In ihrem Buch mit dem Titel „Time To Think“ beschreibt Nancy Kline einen „Thinking Environment“ wie folgt:
Ein Thinking Environment ist etwas Natürliches und dennoch selten. Es ist durch einen negativen Umgang miteinander aus unserem Leben und aus unseren Unternehmen herausgedrängt worden.
Unternehmen, Familien und Beziehungen können wieder zu Thinking Environments werden, wo gute Ideen sprudeln, Handlungen folgen und die Menschen aufblühen.
Nancy Kline (2019): Time To Think – Zehn einfache Regeln für eigenständiges Denken und gelungene Kommunikation
Was ist ein Thinking Environment?
Ein Thinking Environment kann wohl am ehesten als Denkraum (vgl. Marion Miketta, 2018) bezeichnet werden. Es geht dabei darum, ein ideales Umfeld zu schaffen, das es ermöglicht, unsere Gedanken zu entwickeln und auszutauschen. Ziel ist es, so zu Ergebnissen zu kommen, die von allen getragen werden und dabei die Interessen aller berücksichtigen.
Wie gelingt es einen Thinking Environment zu erschaffen?
Zehn Komponenten sind dabei nach Nancy Kline von Bedeutung. In diesen Komponenten finden sich viele bekannte Elemente, die sich in dieser Kombination und bewusstem Einsatz in der Kommunikation direkt positiv auf das erlebte Miteinander und damit auch auf die erreichbaren Ergebnisse auswirken. Grundlegende Voraussetzung dafür ist die Vereinbarung auf diese zehn Komponenten in der Gruppe.
- Aufmerksamkeit
Hier steht das bewusste Zuhören mit Respekt und Interesse der sprechenden Person gegenüber im Vordergrund - Incisive Questions
Hier geht es darum, sich mit den eigenen Vorurteilen und Annahmen auseinanderzusetzen. Nur wer sie bewusst hinterfragt, kann sich davon frei machen, sie im Dialog Einfluss nehmen zu lassen. - Gleichheit
Alle Teilnehmer werden gleich behandelt. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Redezeit und damit gewährte Aufmerksamkeit der Gruppe sowie beim Beachten von vereinbarten Regeln und Grenzen - Wertschätzung
Im Feedback wird das Verhältnis von 5:1 von Anerkennung zu Kritik gewahrt - Gelassenheit
Für Hetze und Dringlichkeit ist im Thinking Environment kein Platz, nur so kann eine gelassene Haltung entstehen - Ermutigung
Die Teilnehmer konkurrieren nicht miteinander z.B. um die besten Ideen, sondern stärken sich gegenseitig - Gefühle
Jeder geht achtsam mit sich selbst um und nimmt aufsteigende Gefühle bewusst war, spiegelt diese aber nicht auf sein Gegenüber - Information
Jeder bringt sich ein, um ein möglichst vollständiges und genaues Bild der Realität zu zeichnen - Ort
Die Umgebung unterstützt die Aussage: „Du bist wichtig.“ z.B. durch eine helle, offene und warmherzige Atmosphäre - Diversität
Die Unterschiede zwischen Menschen werden bewusst wahrgenommen und als förderlich für die Erarbeitung eines gemeinsamen Ergebnisses erachtet
Und wie geht das in der Praxis?
Sowohl eine gute Einführung als auch eine kompetente Moderation durch die Meeting-Formate gerade bei unerfahrenen Teilnehmern legen den Grundstein für den Erfolg dieses Kommunikationskonzeptes.
Es wird dabei zwischen vier Formaten für Meetings unterschieden, die auch bei Workshops oder Seminaren zum Einsatz kommen können:
- Runden
- Thinking Pairs
- Dialoge
- Offene Diskussion
Für jedes der Formate gibt es eine klare Struktur und Ablauf, der sicherstellt, dass die zehn Komponenten eines Thinking Environments berücksichtigt werden und so ein freier Denkraum für alle Beteiligten entsteht.
Besonders beeindruckt hat mich die Kraft des wohlwollenden aktiven Zuhörens. Selbst wenn sich die Teilnehmer kaum kennen, wird es in dieser positiv aufgeladenen Atmosphäre für den sprechenden Teilnehmer schnell möglich, in seine Gedankenwelt einzutauchen und die eigenen Gedanken in kürzester Zeit zu formulieren und nach und nach weiterzuentwickeln.
Ob im bilateralen oder im Gruppendialog gelingt es einen wohltuenden Ausgleich zwischen intro- und extrovertierten Teilnehmern dank ausgewogener Redeanteile herzustellen.
Das Aussprechen der eigenen Gedanken fördert wiederum die Entwicklung der Gedanken der anderen Teilnehmer und erzeugt damit im Gruppenprozess eine erstaunliche Qualität im Hinblick auf das gemeinsam erarbeitete Ergebnis. Gleichzeit stellt sich eine Identifikation mit diesem Ergebnis ein, da es aus dem Gruppenprozess in gleichen Anteilen resultiert.
Mein Fazit
Dieses Kommunikationskonzept erschließt sich für mich immer mehr als eine wahre Schatzkiste. Die zehn Komponenten sind sicher nicht neu und dennoch liefern sie eine gute Orientierung für gelungene Kommunikation insbesondere in Gruppenprozessen.
Je besser es uns gelingt, eine wertschätzende Atmosphäre zu schaffen, um so eher wird es uns möglich, vorurteilsfrei und offen unsere Gedanken zu teilen. Hieraus erwächst ein vertrauensvolles Miteinander, was das tatsächlich vorhandene Potenzial einer Gruppe zu bestmöglichen Ergebnissen aktiv hebt.
Gern beschäftige ich mich weiter mit diesem Konzept und werde versuchen, die dahinterstehende Haltung aber auch Methodik in meinen Alltag zunehmend einfließen zu lassen. Ich freue mich auf die Erfahrungen.